von Helene Walterskirchen:
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Als ich einen Tag vor meinem Treffen mit Pater Anselm Grün ein wenig nach dem populären Kirchenmann und Autor im Internet recherchiere, um mich auf ihn einzustimmen, sind es primär die Fotos, auf denen mich ein freundlich lächelnder, älterer Mann mit Rauschebart anlächelt, die mich wohlwollend stimmen. Er hat eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem Vater, nur dass dieser keinen Bart hatte, jedoch gleichen sie sich in der Ausstrahlung – positiv, lebensbejahend, weise, leise, tiefgründig, friedfertig, ein wenig vergeistigt.
Als ich zur vereinbarten Zeit in der Benediktinerabtei Münsterschwarzach nahe Würzburg ankomme, zeigt sich mir eine imposante Klosteranlage mit der 4-türmigen Abteikirche, die von 1935 bis 1938 erbaut wurde. In der Anlage befinden sich eine Reihe von Werkstätten und Betrieben, in denen 300 Mitarbeiter tätig sind: Goldschmiede, Metallwerkstatt, Elektrowerkstatt, Malerwerkstatt, Druckerei Benedict Press, Vier-Türme-Verlag, Buch- und Kunsthandlung, Bäckerei, Metzgerei, Schreinerei, Schnapsbrennerei, Fairhandel mit Produkten aus aller Welt und landwirtschaftliche Betriebe mit circa 118 Hektar Anbaufläche (Quelle: Wikipedia). Weiterhin gehört zur Abtei ein staatlich anerkanntes Gymnasium, das Egbert-Gymnasium Münsterschwarzach, das von 800 Schülern besucht wird. Auf dem Gelände des Klosters befinden sich zudem ein Biomasseheizwerk, eine Biogasanlage, Photovoltaik, Solarthermie und ein Wasserkraftwerk.
In der Abtei Münsterschwarzach leben derzeit 90 Mönche nach den Regeln des Ordensgründers Benedikt von Nursia (geb. 480, gest. 547 n.Chr.), unter ihnen Pater Anselm Grün. Benedikt von Nursia gründete auf dem Monte Cassino das Mutterkloster des Benediktinerordens. Dort konnte er seine Vorstellungen vom Klosterleben verwirklichen. Die Mönche durften keinen persönlichen Besitz haben, sollten vorbildlich und gottesfürchtig leben. Ein ausgewogenes Verhältnis von Beten und körperlicher Arbeit bestimmte den Alltag. Wesentlich war auch das Leben in der Gemeinschaft, beispielsweise das gemeinsame Einnehmen der Mahlzeiten. Mit diesen Klosterregeln, der „Regula Benedicti“, beeinflusst Benedikt das gesamte abendländische Klosterleben bis heute.
Der Gründer des Benediktiner-Ordens war bei der einheimischen Bevölkerung sehr beliebt: Er wirtschaftete klug und konnte so den Menschen in Notzeiten mit Lebensmitteln helfen. Auch für Heilungen wandten sich die Menschen an ihn. Benedikt galt weiterhin als Friedensstifter: Sein Modell des brüderlichen und friedlichen Umgangs miteinander sollte auch für die Gesellschaft gelten. Wenn er sich gegen Gewalt und Krieg aussprach, legte sich Benedikt von Nursia mitunter furchtlos mit der Obrigkeit an, beispielsweise mit dem Gotenkönig Totila. (Quelle: ARD, Planet Wissen v. 28.11.2014)
Das Gespräch mit Pater Anselm Grün findet in einem der gemütlichen Besucherzimmer im Kloster statt. Zwei Fremde, die sich aufeinander einlassen, die ihre Werte miteinander abgleichen, schauen, wo Übereinstimmungen und wo Unterschiede sind, die an die Seele des anderen anklopfen, abwägen, ob man einander vertrauen kann, um eine Öffnung zuzulassen, die es ermöglicht, in die Tiefe zu gehen oder nur an der Oberfläche zu bleiben. So tasten wir uns am Anfang unseres Gespräches aneinander heran.
Ich bin mir bewusst, dass ich es mit einem Mann zu tun habe, der Zeit seines Lebens den spirituellen Weg des Christentums gegangen ist, denn wie sollte es anders sein, wenn einer wie Pater Anselm Grün mit 19 Jahren die Entscheidung getroffen hat, nicht den Pfad des weltlichen, materiellen Lebens zu gehen, sondern den klösterlichen, spirituellen Pfad. Was so simpel und unwichtig klingt, ist in Wirklichkeit eminent wichtig und umfassend: alle Menschen haben die Wahl, entweder ein weltliches, materielles Leben zu führen oder ein nichtweltliches, spirituelles. Beides sind voneinander getrennte Welten mit ganz eigenen Lebensrhythmen, Maßstäben und Verhaltensweisen. Priester wie auch Mönche bewegen sich dadurch in anderen Dimensionen, sie kennen nicht das Ausleben von sinnlichen Gelüsten, den Kummer und das Leid durch eine ungute Ehe oder Partnerschaft, die Existenzängste durch die Kündigung eines Jobs, sie kennen keine Vaterschaft, keine väterlichen Freuden und Pflichten, aber auch keine Sorgen und keinen Kummer durch eigene Kinder. Dafür kennen sie persönliche Armut, denn sie sind frei von Geld und Besitz, kennen Gehorsam und Demut gegenüber Gott, Jesus Christus und ihrem Abt oder Bischof, kennen die Selbstdisziplin der Tugendentwicklung und eines tugendhaften Lebens. So ist ihr Umgang mit den Menschen draußen in der Welt eher distanziert, durchaus interessiert, jedoch mehr im Sinne eines Studienobjektes als im Interesse einer persönlichen Verbindung. Dies betrifft auch den Umgang mit Frauen, der für sie eher befremdlich als vertraut ist.
Trotz der beiden unterschiedlichen Welten gibt es nicht nur Brücken zwischen diesen Welten, sondern auch gemeinsame Berührungspunkte. Ein solcher Punkt ist beispielsweise die Thematik „beruflicher Erfolg“. So wie die Menschen in der weltlichen, materiellen Welt nach diesem streben, strebte auch Pater Anselm Grün in seinem Amt als Cellerar (= wirtschaftlicher Leiter) der Abtei Münsterschwarzach, das er 36 Jahre (von 1977 bis 2013) inne hatte, nach Erfolg für sein Kloster und wurde das, was man „erfolgreich“ nennt.
Pater Anselm Grün berichtet: „Ursprünglich wollte ich nicht Cellerar werden. Ich hatte Theologie und Philosophie studiert. Als der bisherige Cellerar aus Altersgründen sein Amt abgab, kam ein junger Nachfolger. Dieser schied jedoch bereits nach einem Jahr wieder aus seinem Amt aus. Unser Abt suchte daraufhin einen Ersatz und kam auf mich, weil mein Vater ein Geschäft gehabt hatte, in dem ich schon als Kind mitgeholfen habe. Unser Abt war der Ansicht, ich müsse deswegen ein gutes Gespür für die Geschäftswelt haben“, sagt Pater Anselm Grün schmunzelnd und erzählt weiter: „Ich habe zwei Jahre lang, verkürzt, Betriebswirtschaftslehre studiert und wurde danach Cellerar. Damals war die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Abtei nicht besonders gut, zudem war es eine Krisenzeit, in der eine ganze Reihe von Mönchen ausgetreten ist. Für uns, die wir im Kloster verblieben sind, sowie für unseren Abt, war das ein Signal, dass wir etwas ändern müssen nach dem Motto: ‚Mit Geld kann man alles ermöglichen oder man kann alles verhindern‘, aber auch nach dem Motto: ‚Wir müssen alle mitarbeiten und mitreden dürfen; es geht nicht, dass einer von oben alles bestimmt‘. Und so haben wir, und auch ich als Cellerar, ein Arbeitsklima geschaffen, in dem unsere Leute gerne mitgearbeitet haben. Es war eine Zeit der Wandlung und das hat sich positiv auf alles ausgewirkt: auf unser Leben innerhalb der Gemeinschaft, auf unsere Wirtschaftsbetriebe und auf das, was man Erfolg nennt.“
Erfolgreich wurde Pater Anselm Grün nicht nur als Cellerar der Abtei Münsterschwarzach, sondern auch als Schriftsteller, einem Nebenberuf, dem er sich in seiner Freizeit widmete. In dieses Gebiet konnte er seine schöpferischen Kräfte einfließen und wirken lassen. Pater Anselm Grün verfasste 1976 seine ersten Schriften, die er an die „Benediktinische Monatszeitschrift“ schickte und die dort publiziert wurden. Ein kleiner Verlag wurde daraufhin auf ihn aufmerksam und fragte an, ob er für ihn Beiträge verfassen und als Kleinschriften herausgeben wollte. Pater Anselm Grün: „Ich habe zugesagt und einige Kleinschriften verfasst. Eines Tages jedoch kam mir die Idee, eine Kleinschriften-Reihe mit unserem abteieigenen Verlag ins Leben zu rufen. Als ich 1977 Cellerar wurde, habe ich dann mit einigen Mitbrüdern, die auch Lust dazu hatten, mit dem Projekt gestartet. Bis heute haben wir ca. 200 Kleinschriften herausgegeben, in denen nicht nur ich, sondern auch meine Mitbrüder zu verschiedensten christlichen und spirituellen Themen Beiträge geschrieben haben. Anfangs war die Auflage nur klein. Das hat sich dann geändert, als ich mein erstes Buch geschrieben und publiziert habe: „Der Himmel beginnt in dir – das Wissen der Wüstenväter für heute“, erschienen 1994 im Herder Verlag. Danach folgte das Inspirationsbuch „50 Engel für das Jahr, das 1997 wiederum im Herder Verlag erschienen ist. Die Erstauflage des Buches betrug 10.000 Exemplare. Es musste bereits im ersten Halbjahr zweimal nachgedruckt werden. Insgesamt hatte das Buch eine Auflage von 1,3 Millionen Exemplaren. Das hat mich ziemlich überrascht, denn damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.“
Bis heute hat Pater Anselm Grün 300 Bücher geschrieben und publiziert, und damit Auflagen in Millionenhöhe erreicht. Wenn man ihn auf das Geheimnis seines Erfolges als Autor christlicher und spiritueller Bücher anspricht, lächelt Pater Anselm leise und verlegen und antwortet: „Ich weiß es nicht. Ich habe kein Erfolgsrezept. Mein Erfolg war nicht geplant, er kam einfach so.“
Auf meine Frage, was ihm als Autor wichtig ist, antwortet Pater Anselm Grün: „Ich schreibe beispielsweise nicht über politische oder Kirchenstrukturen-Themen. Ich schreibe für die Menschen, wie sie leben können, wie sie wieder glauben können und wie der Glaube ihnen im Leben helfen kann mit psychologischen Problemen umzugehen, z.B. wie sie ihre Angst verwandeln können, welche Wege sie aus der Depression führen können. Ich zeige spirituelle und auch psychologische Möglichkeiten auf. Manche Menschen glauben, die Therapeuten müssten alles für sie machen. Ich aber mache bewusst, dass man mit Spiritualität auch vieles selber in die Hand nehmen und lösen kann.“
Pater Anselm Grün weiß um die Bedeutung der Spiritualität und um die Sehnsucht so vieler Menschen nach diesem Bereich. Hierin sieht er auch einen Grund für den Erfolg seiner Bücher. Es scheint so, als träfe er mit seinen Büchern dieses Urbedürfnis der Menschen nach Spiritualität. „Spiritualität zeigt, dass man nicht alles selber und dazu noch rationell machen muss. Deshalb bin ich auch so gegen amerikanische Ratgeber-Bücher, die vorgeben, sie wüssten genau, wie man vorgehen muss, um seine Probleme zu lösen. Das sind für mich falsche Versprechungen. Ich nehme den Menschen so wie er ist und zeige ihm Wege auf, wie man es machen könnte, wie etwas helfen könnte, aber ich verspreche nichts.“
Ob beim Schreiben, bei Vorträgen, Kursen oder Seminaren, für Pater Anselm Grün ist es eine Regel, dass er nichts und niemanden bewertet. „Wir Mönche sagen: ‚Wir sind nicht verantwortlich für die Gedanken und Gefühle, die in uns auftauchen, sondern dafür, wie wir mit ihnen umgehen‘. Viele Menschen erschrecken, wenn sie z.B. Hassgefühle oder Wutgefühle haben und sagen, ‘das darf nicht sein, das ist schlecht‘. Aber diese Gefühle sind nun mal da. Für uns steht die Frage im Vordergrund: Wie gehe ich damit um?“
Pater Anselm Grün hat einen unbeirrbaren Glauben an das Gute im Menschen. Er glaubt, dass es jeder in der Hand hat und schaffen kann, sein Leben in den Griff zu bekommen und seine Probleme in Perlen zu verwandeln. „Wenn manche Menschen mir ihre ganze Not erzählen und ich daraufhin sagen würde: ‚Sie arme Frau oder Sie armer Mann, da kann man nichts machen‘, würde ich sie weder begleiten noch ihnen helfen können. Das, was ihnen jedoch hilft, ist, dass ich ihnen Hoffnung mache, dass sie auch das Schlimmste in Perlen verwandeln können, dass diese Kraft da ist und dass sie auch in ihnen ist.“
Für die Abtei Münsterschwarzach ist Pater Anselm Grün ein Segen. Die vielen Millionen Euro, die durch den Verkauf seiner Bücher hereingeflossen sind, haben die Abtei wirtschaftlich und finanziell zur Blüte gebracht. Neue Gebäude konnten gebaut werden, z.B. eine Schule, die statt 150 Schüler wie früher, heute 800 Schüler besuchen können, ein modernes Gästehaus für Besucher von Kursen und Vorträgen, das 140 Betten bietet, ein Informationszentrum, in dem die Besucher in die Welt der Mönche eintauchen können und das unter dem benediktinischen Motto steht: Ora et labora.
Neben seiner Tätigkeit als Autor – derzeit schreibt er ein Buch über „Zufriedenheit“ – ist Pater Anselm Grün heute geistlicher Leiter des Recollectio-Hauses und Geschäftsführer der klostereigenen „Fairhandel GmbH“. In den 53 Jahren seiner Zugehörigkeit zum Benediktiner-Orden und zur Abtei Münsterschwarzach hat sich einiges verändert, so Pater Anselm Grün auf meine Frage. „Wir sind intern mehr im Dialog und entscheiden mehr gemeinsam. Auch gehen wir heute mehr nach draußen als früher. Wir suchen die Nähe und den Austausch mit Menschen in der Welt, aber auch, wenn sie zu uns zu Seminaren und Kursen ins Kloster kommen.
Pater Anselm Grün ist sehr oft „draußen in der Welt“ und hält Vorträge. Es freut ihn, wie er sagt, dass er so viel eingeladen wird. Er hat einen gefüllten Terminkalender: „Gestern hatte ich eine Meditation in einer Nürnberger Kirche, morgen Abend habe ich einen Vortrag in Schlehdorf im dortigen Kloster, übermorgen Abend halte ich einen Vortrag in Bad Wörishofen und am Freitag in Sankt Gallen.“ Pater Anselm Grün betont, dass er die Termine immer selber macht und von Fall zu Fall entscheidet, ob er die Anfrage positiv bescheidet oder nicht. „Manche wollen mich nur für ihre Zwecke benutzen. Deshalb muss ich schon genau schauen, wer oder was da von mir gewollt wird.“ Wichtig ist es ihm stets, dass er nach dem Vortrag wieder heimfahren kann in seine Abtei, in sein Refugium, das seine Quelle der Kraft und Inspiration ist.
Auf meine Frage, ob er ein moderner, christlicher Missionar ist, antwortet Pater Anselm Grün: „Wir sind Missions-Benediktiner und mein ursprünglicher Wunsch war es, als Missionar nach Asien zu gehen. Dann aber wurde ich Cellerar. Mit meiner späteren zusätzlichen Tätigkeit als Autor, Vortragsredner und Kursleiter sowie als spiritueller Berater kam das Missionarische in mir wieder durch und konnte sich ausleben. Ich erlebe, dass das Christentum in Deutschland an Kraft verliert, und deshalb ist es mir ein Anliegen, die Weisheit der christlichen Botschaft so zu verkünden, dass die Menschen spüren, das ist ein guter Weg. Ich möchte niemanden überreden oder überzeugen, sondern ich möchte die Menschen berühren.“
Ein Lebenswerk, auf das Pater Anselm Grün stolz sein kann, wenn man denn bei einem tugendhaften Benediktinermönch von „Stolz“ sprechen kann, denn Stolz geht zumeist mit Hochmut einher und „Hochmut“ gilt als die oberste der Todsünden im Christentum. Das weiß der 72-Jährige und so ist er bescheiden. Nein, er gibt sich nicht bescheiden, sondern er ist bescheiden – trotz seines enormen Erfolges. Wenn er jedoch durch die Abtei geht und schaut, was durch ihn so alles entstanden und gewachsen ist, freut er sich – leise und bescheiden. Und er bittet Gott darum, dass er weiter machen kann, denn er hat noch einige Ideen und Ziele, die er gerne umsetzen möchte – im Verbund mit seinen Mitbrüdern und dem Abt. Pater Anselm ist kein „Einzelkämpfer“, sondern einer, der mit einem Team wirkt. Gemeinschaft ist ihm wichtig, denn es ist seine „Familie“. Pater Anselm Grün hat sein Haus und seine Familie gut bestellt.
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